Dezember 2017 Friedrich Karl Gotsch: Im Garten III, 1963 In den Gemälden der 1950er und 1960er Jahrefindet die künstlerische Entwicklung Gotschs ihren Kulminationspunkt. Mit der bis zur Abstraktion verknappten Komposition wagt er den Schritt über die künstlerische Grenze des Figuralen hin zur Abstraktion, zu dem ihn sein expressives Temperament und die in den späten 50er Jahren erlangte technische Meisterschaft folgerichtig geführt hat. Gotsch hat die Bildfindung, zu der er in dem Gemälde "Im Garten III" gekommen ist, als eine gültige Errungenschaft eingestuft: Die schwingenden dynamischen Formen wird er sechs Jahre später in seinem großen Metall-Fries: “König der Wellen” für das Wellenschwimmbad St. Peter-Ording aufnehmen, das er der Gemeinde aus Anlass seines fünfzigjährigen Schaffens schenkte. Mit dem monumentalen vibrierenden Motiv zielt Gotsch nicht auf die verknappte Darstellung eines Objekts der Realität, sondern auf die Umsetzung in Formen und Farben von fundamentalen Eigenschaften der Natur wie Dynamik und unaufhaltsamer Bewegung, wie sie im Lauf der Wellen und im vegetativen Streben nach Licht und Leben des Gartens zum Ausdruck kommen. Im Garten III, Öl auf Leinwand, 61.5 x 108.5 cm, rechts unten monogrammiert: “FKG”, verso betitelt und datiert: “im Garten III 1963 Decembre 1963”. Im handgearbeiteten Rahmen mit Echtgelbgoldauflage Werkverzeichnis: Goeritz-Leuba Nr. 612 Peter Goeritz, Marion Leuba: Friedrich Karl Gotsch 1900-1984. Werkverzeichnis der Gemälde, herausgegeben von der Friedrich-Karl-Gotsch-Stiftung / Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schleswig 199, Seite 150, mit Abbildung |
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November 2017 Michaela Krinner: Metropolis Eine Stadt am Meer: kulissengleich baut sie sich auf aus vier übereinandergestellten Ebenen, die die kasten- und turmförmigen Umrisse der modernen Großstadtbauweise aneinanderreiht, man entdeckt Bürohäuser der 1960er Jahre, Hochhaustürme der 1920er, wie Orgelpfeifen aneinandergereihte Betonsilos, historische Reminiszenzen mit luftigen Loggias und mit tempelartigen Fassaden. Alle sind sie erleuchtet, gleißendes Licht strömt aus jedem Fenster: diese Stadt schläft nie. Über dem tiefvioletten Spiegel des Meers fangen Wolkenbänke die letzten Purpurtöne der untegegangenen Sonne auf, während sich auf der Horizontlinie des Wassers bereits das gelbe Licht des Mondes spiegelt. Als stolzer goldglänzender Himmelskörper dominiert er die samtige Nachtschwärze der rechten Bildhälfte, eine würdige Gottheit der Nacht. Ihm antwortet farblich und formal auf der gegenüberliegenden linken Bildecke ein hell erleuchtetes Stadion, in dem ein Ballspiel nach eigenen Regeln im Gange ist. Wie aus der Zeit herausgefallen wirkt diese Sportstätte, an eine antike Arena erinnernd. In den halbbogigen Öffnungen sind Sitzbänke eingezogen, auf denen die mit wenigen Strichen angedeuteten Zuschauer wie auf Regalbrettern aufgereiht sind. Das Sportrund, dessen Proportionen im Vergleich zur Stadtsilhouette unverhältnismäßig groß sind, wirkt wie eine Kombination aus Kolosseum und Katakomben, und erinnert daran, dass die großen Sportveranstaltungen, die im antiken Rom als Volksbelustigungen im Sand der Arenen vollzogen wurden, aus Kampfspielen zur Totenehrung hervorgingen. Und auch der übergroße Mond, der als Sichel und volle Scheibe zugleich am Himmel hängt, hat einen mythologischen Doppelgänger in Gestalt der griechischen Mondgöttin, die nicht nur Herrin der Nacht, sondern auch der Wege in und aus dem Totenreich ist. Das flutende Licht, das in der modernen aufgeräumten Großstadt die Nacht zum Tage zu machen scheint, hat also einen Schatten, so wie sich hinter der glatten Theaterkulisse der Stadt ein geschichtlicher Tiefenraum verbirgt, auf dem die ameisengleich winzigen Passanten, Sportler und Vergnügungssuchenden laufen, ohne Spuren zu hinterlassen. Michaela Krinner: Metropolis, 1976, Öl auf Holz, 70 x 61 cm, signiert und datiert, Werkverzeichnis-Nummer G-71, Literatur: Horst Ludwig: Michaela Krinner. Weg einer Kokoscka-Schülerin, München 2003, Seite 102 f. (doppelseitige Abbildung) |
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Oktober 2017 Heiko Pippig:Im Räderwerk Für manche Künstler ist der Phönix das Wappentier, da sie sich regelmäßig neu erfinden. So auch Heiko Pippig, in den 1990er Jahren ein Pyrotechniker der Farbe. In seinen Gemälden der 2000er Jahre beschäftigte er sich mit abstrakt expressiven Malerei und brachte die Farben in dynamischen Fontänen zum Leuchten. In seinen neuen Gemälden wendet er sich dagegen der Linie und dem zeichnerischen Gerüst der Malerei zu. Grafisch angelegt, wie mit feiner Feder gezeichnet und von einem Netz von Schraffuren überlagert, schmiegt sich ein Kopf an den unteren Bildrand, eine erhobene Hand deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger auf das Auge. Hinter und neben dem Kopf drängen sich eine Vielzahl stilisierter Maschinenräder. Sie greifen nicht ineinander, um eine funktionierende Apparatur zu bilden, sondern scheinen raumfüllend aus dem Bildhintergrund aufzusteigen. Nur zwei kleine Freiräume sind geblieben: eine kleine weiße Ecke links oben, aus der ein Strahlenbündel hervorbricht wie ein Sonnenstrahl oder ein Strahl göttlicher Gnade und der lapidare Ausruf: "Ich will Gerechtigkeit". Da, wo der Strahl die Stirn berührt, schwebt dezent eine Form mit herzförmigem Umriß, Symbol der Liebe und der Empathie. Dem bedrohlich wuchernden Dschungel aus Rädern, fast roh wiedergegeben mit breitem, nicht geschlossenem Pinselstrich, antwortet das feine Gespinst des menschlichen Antlitzes, das vom Schatten modelliert und vom Licht zum Leben erweckt wird; die Blindheit der kreisrunden Räder, die wie leere Augenhöhlen stieren, wird konterkariert durch das lebendige Schauen des menschlichen Auges, auf das die Hand mit einem mittelalterlichen Zeigegestus weist. Sehendes Auge, malende Hand, Wahrnehmung von Nuancen und Details: mit diesen Mitteln stemmt sich der sensible, künstlerische Mensch der zermalmenden Macht der anonymen Automatisierung entgegen. Heiko Pippig: Im Räderwerk - Ich will Gerechtigkeit, 2017, Acryl auf Leinwand, mittig unten monogrammiert und datiert |
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September 2017 Gerhard Elsner - Ein Nachruf Am 15. September starb der Maler und Graphiker Gerhard Elsner mit 86 Jahren in München.
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![]() Gerhard Elsner (1930-2017): Das Licht am Ende des Ganges, Öl auf Leinwand |
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Juli 2017 Bruno Krauskopf: Laookoon Als 1911 Hugo von Tschudi in der Münchner Pinakothek Gemälde aus Privatbesitz zeigte, unter ihnen El Grecos Laokoon, war dies der Beginn nicht nur der Wiederentdeckung des in Vergessenheit geratenen großen spanischen Meisters in Deutschland, sondern auch eines wahren El-Greco-Fiebers unter den Künstlern der Avantgarde. Besonders der "Laokoon", der vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen über 300 Jahre lang in einer spanischen Privatsammlung geschlummert hatte, zog die Faszination der modernen Maler auf sich. Paul Klee schrieb: "Ich schätze den Laokoon besonders hoch ein und sehe in ihm ein Rätsel kompositorischer und malerischer Vollkommenheit." Bruno Krauskopf widmete dem spanischen Gemälde eine eigene malerische Neu-Interpretation. Das visionäre Vermögen El Grecos, die über das Naturalistische hinausgehende geistige Kraft dieser Kunst musste Krauskopf als seelenverwandt ansprechen. So ist es kein Wunder, dass er sich in den 1920er Jahren an El Greco maß. Er transponierte den Laokoon in die eigene Gegenwart und akzentuierte das Geschehen neu. Die detailreiche Stadtvedute von Toledo, wie sie El Greco im Hintergrund zeigte, verschmilzt bei Krauskopf zu einer urbanen allgemeinen Chiffre. Das trojanische Pferd wird durch eine leichte Verschiebung zu dem liegenden Laokoon deutlicher hevorgehoben: ein Hoffnungsschimmer leuchtet auf. Denn auch wenn Troja untergegangen ist, im Mythos und in der Kunst hat es überdauert und sich sein Fortleben in künftigen Generationen gesichert. In den heimlichen Mittelpunkt des Bildes hat Krauskopf seine Überzeugung von der fortdauernden Macht des Geistes gerückt. Die zwei rechten Randfiguren, von der El-Greco-Forschung unterschiedlich gedeutet, hat Krauskopf ihrer mythologischen Funktion entkleidet. Statt zwei Gottheiten zeigt er einen Mann mittleren Alters und eine junge Gestalt unbestimmten Geschlechts. Der Mann wendet sich teilnehmend dem Geschehen zu, seine empathische Hinwendung zum Leid des Laokoons wird durch die sich wegdrehende Pose seines Begleiters noch unterstrichen. Das spanische Menetekel der menschlichen Ohnmacht vor dem Schicksal wird unter dem leidenschaftlichen Pinsel des Expressionisten Krauskopf umgedeutet zum Sinnbild unbezähmbarer Lebenskraft. Bruno Krauskopf: Laokoon, Öl auf Leinwand, 81 x 100 cm, 1920er Jahre |
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Juni 2017 Heiko Pippig: Auf dem Sprung, 1970er Jahre Heiko Pippig zählt wie Bernd Schwarzer zu den Künstlern, für die schon als Jugendliche feststand, dass sie eine Laufbahn als Künstler einschlagen werden. Entsprechend früh entstanden die erste Werke. Heiko Pippig arbeitete bereits als Anfang Zwanzigjähriger in dem Format, das für ihn bis heute charakteristisch ist: das bis zur Lebensgröße großformatige Ölgemälde. Auch das Thema der menschlichen Gestalt ist eine Konstante in seinem Lebenswerk - die Entscheidung für die figürliche Malerei in einer Zeit, die die Dominanz der abstrakten und ungegenständlichen Kunst markierte, spricht für die künstlerische Autonomie und das Selbstbewußtsein des jungen Künstlers. Der menschliche Körper . Die Körper des Frühwerks "Auf dem Sprung" sind statuenhaft gegeben, die nuanciert weißen Farbtöne der Gliedmaßen ebenso wie die starken Hell- und Dunkelkontraste erinnern an Marmor, über den Licht und Schatten spielen. Die Beinpaare im Hintergrund zitieren die Bewegungsformen von Statuen der Antike bis hin zum klassischen Stand- und Spielbein-Verhältnis am rechten Bildrand. Als ungewöhnliche Bein-Torsi lenken die Figuren die Aufmerksamkeit auf die Konstruktion des idealen bewegten Körpers in der Kunst der klassischen Antike. Ganz anders der im Vordergrund kauernde Körper: er ist vollständig wiedergegeben, mit übersteigerten Proportionen, ähnlich den Bedeutungsproportionen der mittelalterlichen Kunst. Die Füße, überdimensional groß, verwurzeln den Hockenden mit dem Boden, in den sich die Zehen gleichsam festkrallen, als ob sie Kraft aus dem Mutterboden saugen wollten. Die nach vorne gezogenen Hände spreizen die Finger in einer kraftvollen greifenden und stützenden Bewegung ab. Die in sich gerundete, halbgeschlossene Haltung, die durch die Bewegung der Hände und Hebung des Kopfes geöffnet wird, erinnert an einen sich gerade vollziehenden vegetativen Prozeß: des Kräftesammeln und Aufschießen einer Pflanze ans Licht, die bislang in der bergenden Hülle des Keims im Erdboden verborgen lag. Am Beginn seiner künstlerischen Laufbahn schafft Heiko Pippig ein Gemälde, das Entstehen und Entfaltung der kreativen Kraft in eine universell gültiges Bildmetapher gießt.
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Mai 2017 Hubert Balze: Hürdenlauf, 1984 Die beschleunigte Gesellschaft Hubert Balze wurde 1936 im Reichenau geboren. 1945 mußte er mit seinen Eltern die Oberlausitz verlassen und wuchs in Balderschwang, Stadtbergen und Furth in der Oberpfalz auf. Von 1956 bis 1960 studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in München und wirkte danach als Kunsterzieher in Nürnberg und Augsburg. Daneben widmete er sich der Malerei mit Ateliers in Augsburg und in der näheren Umgebung. Seit 1971 stellte er in Museen und Galerien in Deutschland und Frankreich aus. Die Tätigkeit als Kunsterzieher gab ihm die hoch geschätzte Freiheit, ein Werk unabhängig von den Trends des Kunstmarkts zu schaffen. Sein Werk, obwohl stilistisch durchaus vielfältig, ist thematisch streng figural, im Mittelpunkt stehen der Mensch und die Entstellungen und Verleugnungen, zu denen ihn die selbstverschuldete Unterwerfung unter die Gesellschaftsnormen und der Lauf der Geschichte zwingen. Wie Otto Dix oder zeitgenössisch Johannes Grützke greift der technisch versierte Hubert Balze auf die Kunst der Alten Meister zurück, und entlehnt beispielweise von den altdeutschen Malern die unbarmherzig naturalistischen, bis ins Karikaturenhafte getriebenen Physiognomien der Alltagsmenschen. Der photographische Realismus wird in dem Gemälde "Hürdenlauf" ins Groteske gesteigert durch die übersteigerte Darstellung der mimischen Details und die furiose Zusammenballung von fragmentiert wirkenden Körperteilen. Wie in einer surrealen Traumsituation branden Leiber gegen eine rot-weiße Sperre - der einzige kräftige Farbkontrast in dem Gemälde - die durchaus zu übersteigen wäre, jedoch durch das unkoordinierte und gedankenlose Andrängen der Menschen, deren Leiber sich in der Türöffnung verkeilen, zu einem unüberwindlichen Hindernis wird.
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April 2017 Bernard Schultze: Porträt Bernard Schultze Künstler-Mythologien Der 1915 geborene Bernard Schultze zählt zu den großen Vertretern der nicht-figürlichen Malerei in Deutschland, den besonders der gestische Expressionsmus prägte. Auf der Suche nach dem unverwechselbaren persönlichen Ausdruck bezog er aber auch die figurative Gestaltung in seine Formensprache ein. So erschuf er 1961 den "Migof", ein Mischwesen mit pflanzlichen, tierischen und menschlichen Zügen, das aus dem Schaffen des Künstlers entsteht und eine eigene Existenz neben den Wesen der Natur führt. Es erwächst aus einem Gewirr von Linien und dem chaotischen Changieren der Farben und greift in den Skulpturen auch in den dreidimensionalen Raum hinein. In der barocken kleinteiligen Opulenz finden widersprüchliche Gefühle und Seelenregungen Ausdruck: die Bedrängnis durch eine unüberschaubar gewordene Außenwelt, die Gefährdung durch eine blind wuchernde Natur, die mit Ranken udn Fäden wie mit Tentakeln nach der Seele des Betrachters greift, aber auch Staunen über die unaufhaltbare vegetative Kraft der Schöpfung und die zahlreichen Formen, in denen Leben Ausdruck finden kann. Bedrohlich und selbst gefährdet erzählt der Migof von den Fährnissen der menschlichen Existenz eingebettet in die außerpersönliche Natur. |
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März 2017 Joachim Palm: Gesprächsgruppe Geschlossene Gesellschaft Der 1936 in Potsdam geborene Joachim Palm studierte von 1957 bis 1962 an den Kunsthochschulen in Berlin und in München (u.a. bei Mac Zimmernann). Er wurde Mitglied der Neuen Gruppe München. 1970/1971 lebte er als Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Ab 1980 unterrichtete er als Professor für Malerei an der Fachhochschule Augsburg. Er wurde zunächst für seine technisch versierten und experimentellen Radierungen bekannt. Ab 1985 wandte er sich der Bildhauerei und Kleinplastiken zu. Sein Thema ist der moderne Mensch in der Stadt. Scharf betonte Silhouetten, gelängte Formen und hierarchische Gruppierungen beschreiben die menschliche Existenz im Spannungsfeld von Vereinzelung und Gruppenzwang. In der chiffrenhaften Überzeichnung der menschlichen Gestalt und der Erkundung der Anonymisierung in der modernen Gesellschaft ist Joachim Palm Gerhard Elsner, dem Maler des modernen urbanen Menschen, an die Seite zu stellen. Die Plastik "Gesprächsrunde" greift die Form der Blockplastik auf. Wie in altägyptischen Porträtplastiken verschmelzen hier die Körper und die Stühle der Menschen in der unteren Hälfte zu einem geschlossenen Kubus. Aus ihnen wachsen die Büsten der vier diskutierenden Männer heraus, sie alle enden in raubvogelhaft scharfen Profilen, die einander mit geometrischer Präzision in rechten Winkeln zugewandt sind. Die Gesichter erinnern an Masken oder archaische Kampfhelme, mit denen sich die Kombattanten im unversöhnlichen Kampf der Argumente gegenüberstehen, die in der Mitte des Tischs geknäult ineinander gefügten Hände verraten jedoch, dass ein Band alle miteinander verschweißt hat. Unauflöslich sind die Bande der Sozialisation. Joachim Palm *1936: Gesprächsrunde. Bronze vernickelt, 1991, rückseitig ritzmonogrammiert "J.P." und datiert. Maße des Sockels: 29 x 30 cm, Maße der Plastik: ca. 15,5 x 33 x 13 cm (B x H x T) Galeriepreis auf Anfrage: Zum Kontaktformular |
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Februar 2017 Gerhard Elsner: Personen hinter Farbvorhang Schaufenster der Anonymität Zentrales Thema im Schaffen Gerhard Elsners ist die menschliche Existenz unter den Bedingungen der Moderne. Er befragt die Lebensweise in der Großstadt darauf, wie Architektur, gesellschaftliche Rollen und soziale Bindungen die Individualität der Person beeinflussen und verändern. Elemente der modernen Architektur werden zu Chiffren für Seinsweisen, wie hier das Fenster. Es steht für die durchsichtig gewordene Grenze zwischen Innenwelt und Außenwelt, die dem Maler-Betrachter einen Blick in die Intimität der Existenz ermöglicht. Das bodenlange Fenster erinnert an Kaufhaus-Vitrinen, in denen die Figuren wie Schaufensterfiguren dem Blick Galeriepreisgegeben sind. Der Betrachter wird dem Konsumenten angenähert, der einschätzende Blick des Beobachters wird zum taxierenden Blick des potentiellen Käufers. Gleichzeitig reflektiert Elsner in dem Gemälde die vermittelnde Rolle des Künstlers. Die Fensterrahmung erinnert an einen Bilderrahmen, durch die angeschnittene Darstellung wird diese kompositionelle Funktion noch betont. Einem Vorhang gleich rieseln rote Farbrinnsale das Fenster hinunter und weiße Schlieren ziehen über das Glas. Hinter ihnen verschwimmen die Konturen der Figurensilhouetten, die Gesichtszüge der Personen liegen im Schatten der Farbe. Das Geheimnis der Individualität bleibt ungreifbar. Personen hinter Farbvorhang, 2009, Ölgemälde auf Leinwand, 120 x 100 cm, links unten signiert und datiert. |
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Januar 2017 Otto Geiß: Ouvertüre für Blau-Violett, 1975 Im Garten der Töne Den 1939 in Augsburg geborenen Otto Geiß führten verschlungene Pfade zur Kunst. Ausbildung zum Dekorateur, grafisches Studium an der Werkkunstschule, Beschäftigung mit Buddhismus, gestalterische Tätigkeit in der Werbebranche verliehen ihm das handwerkliche und gedankliche Rüstzeug. Die Begegnung mit der Kunst Ernst Fuchs' und des Wiener Phantastischen Realismus war der Katalysator, dank dessen Geiß sich seines eigenen Stils vergewissern konnte. Sein bildnerisches Werk ist unverkennbar mit dem grotesk-phantastischen Humor und dem ins Surreale enthobenen Detailreichtum. Weltlust und Daseinsfreude sprechen aus der liebevollen Versenkung in die feinsten Einzelheiten der Wirklichkeit ebenso wie aus der unerschöpflich sprudelnden Lust an der Metamorphose der Realität und der Erfindung neuer Wesen. Der Maler entführt in eine Welt voller fabulöser Figuren, belebter Statuen, wandelnder Maschinenwesen, Hybriden zwischen Pflanzen- und Menschenwelt. Umfangen wird die Szenerie von einer nebelhaften Gebirgskette, die mit ihrer organisch zerfurchten knolligen Oberfläche an die Landschaftshintergründe der Donauschule erinnert und gleichzeitig das Shangri-La des Himalayas, einen vor den Gefährdungen der Welt abgeschiedenen paradiesischen Schutzraum evoziert. Im Schatten der Gipfel regiert das bläulich-violette Licht des Übergangs des Tags in die Nacht. Eine grelle Lichtbahn erhellt die Bildmitte, in der eine rätselhafte Zeremonie vorbereitet wird. Bizarre, mit barock verschnörkelter Fantasie ausgestaltete Mischwesen gleiten durch die Luft, und über allem präsidiert ein Katzenidol mit maskenhaftem Lächeln. Mit überbordender Einfallskraft schafft der Künstler ein phantastisches Bühnenbild für eine noch zu schreibende Oper der mystischen Farben Blau und Violett. Otto Geiß (1939 Augsburg - 2005):
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